Königsberger Klops sind ein Gedicht

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Königsberger Klops sind ein Gedicht. Wer sie nur aus der Cafeteria oder Kantine kennt, wird kaum zustimmen. Es gibt unterschiedliche Konzepte bei der Zubereitung der Königsberger Klops. Die Schlichtheit der Zutaten des Gerichts macht es so vertraut und verlockend. Hackfleisch kann jeder, auch wenn es länger dauert als Bratklops. Als Kind faszienierte mich die Vorstellung gekochter Klopse und später erkannte ich die Stolperstellen.

Prolog

Das Gericht hieß stets nur Königsberger Klops. Die Mehrzahl wurde bei uns nicht gebraucht. Warum eigentlich? Denn alle bekamen zwei. Wenn es knapp war, wurden die Klopse eben kleiner gerollt.

Und musste doch einmal die Mehrzahl benutzt werden, dann hieß es "Klöpse". Seit Kindertagen halte ich es so: Königsberger Klops sind ein Gedicht.

Vorspiel in der Küche

Wenn es sonntags nach Zitrone in der Küche roch, der Wrasen durch die Küche waberte, wenn Zwiebeln und Gewürznelken gebraucht wurden, war es Zeit für Königsberger Klops. Auf einem Teller lagen die geformten Fleischbällchen. In einem Topf simmerte der Sud. Süße und saure Sahne standen parat.

Worte der Enttäuschung über fehlende Sardellen schwangen bei jeder Vorbereitung mit. Anchovispaste, die ab und erstanden werden konnte, wurde von der wohlmeinenden Köchin nicht als ebenbürtiger Ersatz akzeptiert.

Die mütterliche Köchin garnierte sowohl die Vor- und Zubereitung des Gerichts mit Anekdoten aus der Kinderzeit. Sie ging mit lehrreichen Sätzen über zu den Feinheiten des Gerichts, zur Anzahl der Kapern – deren Geschmack nur wenigen Familienmitgliedern den Gaumen kitzelte, die aber nicht verschmäht werden durften.

Eine weitere Seitenbemerkung der mütterlichen Köchin wiederholte das Fehlen der Sardellen, deren Geschmack nur durch ihre Beschreibung und durch ihr ständiges Fehlen sich in meiner Vorstellung geradezu von himmlischer Essenz verfestigte, so dass die Ernüchterung, als ich sie denn endlich probierte, eine nicht größer hätte sein können.

Mehr für die Familientradition gedacht waren die Ergänzungen über das Gurkenrezept.

1. Aufzug – Der Familientisch

Die Eindrücke aus der Küche verschmolzen mit der Vorfreude beim Essen, das sonntags am gemeinsamen Esstisch und nicht am Küchentisch eingenommen wurde. Der Geruch nach Lorbeer, Essig, Zitrone, Nelken aus der Brühe verbreiteten Gelassenheit. Gleichzeitig interessierte die Essenden, ob auch genug – familiensprachlich "Klöpse" – da sind. Für jede Person galten zwei Stück als angemessen. An Freudentagen waren es auch drei.

Das Essen wurde abgerundet durch geschwenkte Salzkartoffeln, so dass ihre Oberfläche etwas krümelig war. Als Beilage wurde Gurkensalat in einem Dressing von saurer Sahne und Dill gereicht. Damit war das Essen stimmig. Ein I-Tüpfelchen hätte nur durch Pudding oder ein Kompott gesetzt werden können.

Die Sauce schmeckte leicht süß-säuerlich und die Klopse waren größer als ein Tischtennisball, aber kleiner als ein Tennisball. Die Oberfläche der Klopse war stets ebenförmig, was immer wieder faszinierte.

2. Aufzug – In der Krankenhauskantine

Die mütterliche Köchin begann in ihrem Beruf zu arbeiten und das brachte mich unweigerlich in die Genüsse eines Betriebsrestaurants, das in der östlichen Provinz den italienischen Namen Kantine hatte. Im Wochenplan las ich etwas von Kochklopse in weißer Soße und konnte das nicht zuordnen. Die Nachfrage zuhause ergab, dass es Königsberger Klops sind. Königsberg aber nicht gesagt wurde, damit niemand auf die Idee kommen könnte, jemand würde Königsberg beanspruchen wollen.

An diesem Abend schlief ich voller Vorfreude ein. Denn Königsberger Klops sind ein Gedicht und es gab es seit der Berufstätigkeit der mütterlichen Köchin nur sehr selten.

Schon beim Warten an der Essensausgabe sah ich, was die anderen Gäste zum Platz trugen. Die Klopse waren kleiner, aber immer noch größer als Köfte oder Köttbullar – wenn ich sie damals gekannt hätte. Die Oberfläche der Klopse war ungleichmäßiger, zwar rund, doch grober. Als Begleiter der Klope und der maschinell geschälten und ungedämpften Salzkartoffeln machten sich nun Rote Bete breit.

Der erste Bissen war unspektakulär. Der zweite auch. Der dritte Bissen wurde nicht besser. Alle anderen hoben die Enttäuschung über dieses Essen auf ungeahnte Höhen. Die Fleischmasse hatte vielleicht irgendwann einmal neben einem Gewürzregal gestanden, Lorbeer oder Nelken, geschweige denn Sardellen hatten den Weg in die Messe nicht gefunden. Sowohl in der Masse als auch in der Soße gab es Salz. Zitrone, Sahne oder Kapern waren unter Umständen in zu vernachlässigenden Mengen in den Dampfkessel mit den Ausmaßen einer Badewanne gelangt.

3. Aufzug – Pikierte Küchenmenschen

Nach vielen Jahren stand ich vor dem Kantinenkoch ("Kochen bedeutet für uns Leidenschaft!"). Auf dem Speiseplan stand nicht Kochklopse in Kapernsauce, sondern tatsächlich "Königsberger Klopse". Fast hätte ich ein Hausverbot riskiert, als ich ihn auf die Sardellen in der Fleischmasse ansprach. Der Koch versuchte seine Verachtung in meine Frage in den Blick zu legen. Es gelang ihm.

Ab und an ist wegen meines mittäglichen Hungers meine Beobachtungsgabe getrübt. Dann bestelle ich Königsberger Klopse. Dann entgehen mir die Scheiben von Roter Bete, und ich überlese den Reis als Beilage. Das kann alles vorkommen. Nur wenn ich gerade einen suizidalen Moment erwische, lasse ich dem Verlangen, nach Sardellen in der Fleischmasse zu fragen, freien Lauf.

4. Aufzug – Die Sprachschule und die Klopsgeschichte

In einem Sprachkurs bekam ich die Aufgabe, über mein Lieblingsessen vorzutragen. Da begann ich in höchsten Tönen von den Königsberger Klopsen zu schwärmen, die ich schon seit langen Jahren nicht mehr zu Hause gegessen, geschweige gemacht hatte. Ob spitzfindig oder interessiert, wurde ich gefragt, wer zu Hause denn die Klopse kochen würde. So kaufte ich die Zutaten und stellte mich zu Hause in die Küche.

Die Klopse waren größer, die Masse bekam feingehackte Sardellen. Die Sauce bekam Sahne, als Beilage gab es Gurkensalat. Wer eingeweichtes Brötchen statt Semmelmehl in der Masse nutzt, bekommt eine ebenmäßige Oberfläche und eine lockere Masse.

Bei "Iberty as in Liberty" wird die These vertreten, dass die Königsberger Klopse aus der feinen Küche stammen. Der These mag ich mich anschließen. Die Frage ist, wann das Rezept populärer und alltagstauglich wurde. Weitere Fragen müssen in der "Klopsologie" geklärt werden. Wann kamen die Roten Bete hinzu? Wann wurde Reis als tauglich befunden? Wann verloren sich die Sardellen?

War die Abwesenheit von Sardellen in der DDR durch die ständige volkswirtschaftliche Klammheit verursacht? Wie bei plötzlicher Hefeknappheit?

Epilog

Klopslied

Ick sitze da un‘ esse Klops \
uff eemal klopp’s\
Ick kieke, staune, wundre mir,\
uff eemal jeht se uff die Tür.\
Nanu, denk ick, ick denk nanu\
jetz isse uff, erscht war se zu!\
Ick jehe raus und blicke\
und wer steht draußen? Icke! Icke! Icke!!

Ein kurzer Blick zurück

Königsberger Klops lernte ich kürzlich als Spottnamen kennen. Dabei waren wohlbeleibte Bürger aus Königsberg in Sand geformt und standen im Sandskulpturenfestival auf Usedom und ließen Betrachtende fragend zurück.

Heimatgefühle

Eine große Kelle Heimat – FAZ.net

Kleine Kulturgeschichte der Königsberger Klopse – Iberty as in Liberty

Königsberger Klopse für Barack Obama – Tagesspiegel

Rezepte

Königsberger Klopse – Kochzivilisten

Königsberger Klopse – Chefkoch

Königsberger Klopse, traditionell aus Ostpreußen – Chefkoch

Am Wochenende gibt es Königsberger Klopse

Welche schmecken wie bei Muttern – Tagespsiegel

Quellennachweis

Haus Hof Garten Teller
  • Haus Hof Garten Teller
  • Er arbeitet gern im Garten. Manche sagen, er ist ein Gartenanhänger, aber der Wortwitz wäre zu abgedroschen. Vor allem schneidet er gern Obst- oder Ziergehölz. Seit vielen Jahren wohnt er in einem Haus und Essen gehört zu seiner täglichen Routine. Und er interessiert sich für Dinge, die in- und außerhalb des Gehöfts passieren.

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